Hier findest du den Beitrag als pdf zum herunterladen: Mt18_Überlegene_AB
1 Zahm
Gezähmte Tiere tun nicht mehr das, was sie eigentlich tun würden. Dafür müssen sie einen Menschen als Autoritätsperson anerkennen und Vertrauen lernen. Zahm steht auch dafür brav zu sein, nicht mehr wild und ursprünglich. Bist du auch gezähmt worden? Diese Predigtreihe dreht sich um den ungezähmten Jesus. Die Ahnung ist, dass wir Jesus manchmal seichter, braver und zahmer darstellen, als er ist. Es geht also um Jesus, der sich nicht angepasst hat.
2 Glücksgefühl Überlegenheit
Es gibt das psychologische Phänomen der „Überlegenheitsillusion“. Wir überschätzen sehr konsequent unsere Stärken und unterschätzen unsere Schwächen. Diese Illusion schafft uns Glücksgefühle und unser Selbstwert wird gestärkt. Die Illusion ist also gar nicht so schlecht. Aber sie hat auch ihre Schattenseite. Denn wenn jemand Überlegenheitsgefühle hegt, dann meint die Person andere zähmen zu dürfen. Die Predigt heute dreht sich um einen Text, in dem Jesus über Störenfriede für Gemeinschaft redet. Ungezähmt wie Jesus ist, legt er einen Finger in die Wunde der „Überlegenheitsallüren“, also in unseren Versuch die Überlegenheit zu zementieren. Jesus redet darüber, wie Gemeinschaft in seinem Reich aussieht. Er erklärt, wie die, die ihm folgen, Gemeinschaft leben sollen. Wir haben sozusagen eine Art Mitgliederversammlung vor uns.
3 Die Rede
3.1 Die Überlegenheitsanfrage
1 In dieser Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten ihn: »Wer ist wohl der Wichtigste in Gottes himmlischem Reich?«
Die Jünger kommen mit dieser Frage zu Jesus. Sie brennt ihnen also unter den Nägeln. Es steckt in uns, die besten sein zu wollen: Das beste Essen kochen, den schönsten Garten haben oder die Predigt halten, die alle hören wollen. Nicht jeder traut sich diese Frage so offen zu stellen. Und wer nach den Wichtigen fragt, findet damit auch heraus, wer unwichtig ist. Jesus antwortet prompt.
3.2 Umkehr
2 Jesus rief ein kleines Kind, stellte es in ihre Mitte 3 und sagte: »Ich versichere euch: Wenn ihr euch nicht ändert und so werdet wie die Kinder, kommt ihr ganz sicher nicht in Gottes himmlisches Reich. 4 Wer aber so klein und demütig sein kann wie ein Kind, der ist der Größte in Gottes himmlischem Reich. 5 Und wer solch einen Menschen mir zuliebe aufnimmt, der nimmt mich auf.«
Es wurde schon viel behauptet, warum wir wie Kinder werden sollen: Weil sie unschuldig sind, rein, hilfsbedürftig, weil sie vertrauen, sich beschenken lassen können und so weiter. Der Punkt ist: Heute haben Kinder Rechte, damals hatten sie keine. Sie hatten keine Lobby. Niemand hielt Kinder für so wichtig, um sich ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen. Heute werden manche Kinder wie kleine Erwachsene behandelt. Damals hatten Kinder keinen Status. Solch ein Kind stellt Jesus in die Mitte. Und er fordert die Jünger auf, sich zu bekehren. Sie, die vorbildlich Frommen, die besonders wichtigen Menschen, sollen sich bekehren, damit sie in das Reich Gottes kommen. Die Umkehr hat zwei Facetten: Zum einen soll ich mich selbst so unbedeutend wie ein Kind machen und zum anderen wertet Jesus auf, unbedeutende Menschen zu empfangen. Sich unbedeutend zu machen meint nicht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen oder seine Selbstwertkomplexe zu pflegen. Wir sollen uns nicht für klein und unbedeutend halten, sondern wir sollen uns selbst niedrig machen. Jesus redet hier nicht von unserer Psyche, sondern von unserem Verhalten. Unbedeutend sind die Menschen, die kürzer dabei sind, die weniger Kontakte haben, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen und die schwächer sind. Die Jünger wollen eine Rangfolge und Jesus torpediert ihren Wunsch. Er ist bei dem Kind zu finden. Unsere Überlegenheitsallüren zerstören Gemeinschaft. Unbedeutende Menschen bleiben alleine am Rand stehen. Wir sollen uns selbst zu ihnen hin bekehren.
3.3 Selbstverstümmelung?
6 »Wer aber einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen, die mir vertrauen, zu Fall bringt, für den wäre es noch das Beste, mit einem Mühlstein um den Hals ins tiefe Meer geworfen zu werden. 7 Wehe der Welt, denn sie bringt Menschen vom Glauben ab! Es kann ja nicht ausbleiben, dass so etwas geschieht. Aber wehe dem, der daran schuld ist! 8 Deshalb: Wenn dich deine Hand oder dein Fuß zur Sünde verführen will, hack sie ab und wirf sie weg. Es ist besser, du gehst verkrüppelt oder verstümmelt ins ewige Leben, als dass du mit beiden Händen und Füßen ins ewige Feuer kommst. 9 Auch wenn dich dein Auge zu Fall bringen will, dann reiß es heraus und wirf es weg. Es ist besser für dich, einäugig das ewige Leben zu erhalten, als mit zwei gesunden Augen ins Feuer der Hölle geworfen zu werden.«
Diese Sätze sind auf jeden Fall ungezähmt. Alle Ausleger sind sich einig: Das ist nicht wörtlich zu verstehen. Dein Auge ist auch nicht der Urheber dafür zu sündigen. Jesus hat einige Zeit vorher klar gemacht, dass böse Gedanken aus unserem Herzen kommen. Wieso sollten wir das Auge ausreißen, wenn das Problem im Herzen liegt? Jesus redet davon, ins Meer versenkt zu werden und zwar mit einem Mühlstein um den Hals und zwar mit dem ganz großen, der nur von Eseln bewegt wurde. Das ist derb. Was ist Jesus so wichtig? Nach wie vor geht es Jesus um vermeintliche Überlegenheit und klein und unbedeutend erscheinende Menschen. Diese scheinbar unwichtigen Menschen sind Jesus so wichtig, dass er sehr eindrücklich erschreckende Worte findet. Zunächst sollen wir aufpassen, diese Menschen nicht zur Sünde zu verführen. Wir sollen sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Dann ist in der Rede scheinbar ein Bruch. Auf einmal geht es nicht mehr darum, andere zur Sünde zu verführen, sondern selbst verführt zu werden.
Spannend ist, dass diese derben Worte noch mal im Matthäusevangelium vorkommen. Das hilft, sie zu verstehen. Dort redet Jesus über Ehe. Vor ihm sitzen einige Männer. Die waren es gewohnt, dass sie die Rangoberen in der Ehe waren. Männer durften Frauen eine Scheidungsurkunde ausstellen. Frauen durften das nicht. Das war völlig legitim und in Ordnung. Gesetzlich richtig. Jesus erklärt ihnen, dass eine Scheidung Sünde ist. Ihre vermeintliche Rangordnung und Vorzüge sieht Gott anders. In diesem Zusammenhang wird Jesus genauso drastisch. Das heißt für unseren Text: Jesus redet nicht in erster Linie über unseren Kampf gegen sündiges Verhalten. Wir verkehren das, was Jesus sagt, ins Gegenteil, wenn wir nur auf uns schauen und ob wir sündlos leben. In beiden Texten, in denen Jesus uns rät die Hand abzuhacken, geht es um unsere Rangvorteile. Jesus redet nicht über unsere moralische Reinheit, sondern darüber, Menschen zu verachten. Man könnte auch fragen: Wem wende ich mich am Sonntagmorgen zu? Vielleicht bringe ich einen Menschen nicht dadurch in Versuchung, dass ich freizügige Bilder aufhänge, sondern indem ich keine Zeit für die Person habe und ihr keine Beachtung schenke. Ist das nicht die Sünde, von der Jesus hier redet? Könnte es sein, dass Kirchen und Gemeinden viel zu sehr auf Moral und sündenfreies Leben achten und viel zu wenig darauf, sich selbst niedrig zu machen und sich zu den Kleinen zu halten?
3.4 Die hundertstel Herde
10 »Hütet euch davor, hochmütig auf die herabzusehen, die euch klein und unbedeutend erscheinen. Denn ich sage euch: Ihre Engel haben immer Zugang zu meinem Vater im Himmel. 12 Was meint ihr: Wenn ein Mann hundert Schafe hat und sich eins davon verläuft, was wird er tun? Lässt er nicht die neunundneunzig auf ihrer Weide in den Bergen zurück, um das verirrte Schaf zu suchen? 13 Und ich versichere euch: Wenn er es dann findet, freut er sich über dieses eine mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verlaufen hatten. 14 Ebenso will euer Vater im Himmel nicht, dass auch nur einer, und sei es der Geringste, verloren geht.«
Jesus ist weiterhin bei unseren Überlegenheitsallüren und bei klein und unbedeutend erscheinende Menschen. Wie könnte es aussehen, einen „kleinen“ Menschen verächtlich zu behandeln? Jesus erzählt dazu eine Geschichte: Ein Schaf eines Hirten ist weg. Die Schafherde ist auf dem offenen Feld. Und was sagt Jesus da doch tatsächlich? Er behauptet, dass der Hirte die übrigen neunundneunzig Schafe zurücklässt um das eine zu suchen. Überlegenheit würde sagen: „99:1. Wer ist wichtiger?“ Wenn der Hirte das Schaf findet, behauptet Jesus, freut er sich über das wiedergefundene Schaf mehr, als über die neunundneunzig. Das ist frech. Die Jünger hatten die Frage, wer am wichtigsten ist. Und Jesus sagt ihnen, dass er sich mit denen beschäftigt, die gerade gar nicht da sind und dumme Sachen machen. Werde nicht überheblich, nur weil du jeden Sonntag in den Gottesdienst gehst.
Wo ist Jesus zu finden? Auf der Suche nach den Menschen, die unbedeutend sind. Während wir auf der Suche nach den Menschen sind, die gerade angesagt sind, ist Jesus bei denen, die keiner braucht. Und im übrigen lässt er uns dafür auch alleine. Und warum ist das so? Weil Gott nicht will, dass jemand verloren geht. Jesus hat die scheinbar unbedeutenden Menschen im Blick und in diesem Zusammenhang findet er derbe, direkte, ungestüme Worte: Ins Meer versenken, Auge ausreißen, verlassen werden. Wir sollen uns bekehren. Jesus fordert uns auf, uns selbst niedrig zu machen. Wir sollen uns nicht selbst schlecht machen, sondern einreihen und auf Augenhöhe bleiben.