| Predigt Handout

24.09.23 Entgiftung: Scham

Hier kannst du den Beitrag als pdf herunterladen: Kreuz_Lk22_AB

1 Typisch menschlich

Ich bin Christ. Wenn andere Christen etwas tun, was ich als falsch oder peinlich empfinde, dann schäme ich mich dafür. Aber ich schäme mich nicht nur für andere. Sich zu schämen ist typisch menschlich. Wir können vielleicht die Schamgrenze beeinflussen, aber ganz los werden wir die Scham nicht. Das Scham menschlich ist, bedeutet nicht, dass sie immer richtig ist. Aber ohne Scham wird es unmenschlich. Wir können nicht ohne Schamgrenze leben. Scham ist hilfreich. Sie hält uns auf. Wenn wir überhaupt keine Scham empfinden würden, würden wir auch solche Dinge tun, die nicht gut wären. Scham zeigt uns, dass etwas moralisch oder gesellschaftlich nicht akzeptabel ist.

Auf der anderen Seite kann Scham falsch sein, weil sie uns eingeredet wird. Und noch einen Nachteil gibt es: Scham kann uns dazu verleiten, keine Verantwortung zu übernehmen. Wir schämen uns aber wir stehen nicht zu unserer Schuld. Dann macht Scham uns klein. Zu der Schande zu stehen und Verantwortung dafür zu übernehmen, würde uns groß machen.

In der Bibel finden wir die Aussage, dass alle Menschen die Herrlichkeit verloren haben, in der Gott uns ursprünglich geschaffen hatte (Römer 3,23). Das erklärt die Scham. Sie ist ein Symptom. Sie ist menschlich und notwendig, aber auch krankhaft. Herrlichkeit oder Ehre ist das Gegenteil von Schande. Uns allen ist also gleich, dass wir eine ursprüngliche Herrlichkeit verloren haben, nicht mehr vollkommen sind und darum ist Scham typisch menschlich.

Und Scham macht etwas mit unsere Beziehungen. Wer sich schämt, der versteckt und verbirgt. Und weil Scham typisch menschlich ist, verbergen wir alle. Genau in dieses menschliche Scham-Drama ist Jesus gekommen um Frieden zu schaffen. Aber nicht, indem er den Zauberstab ausgepackt hat, sondern indem Jesus Scham auf sich nimmt. Das Kreuz ist ein Zeichen für Scham und Schande und genau dieses Zeichen ist zum Symbol für das Christentum geworden. Jesus trägt am Kreuz Schande und Scham. Wir schauen uns den Weg von Jesus bis zum Kreuz an. Was dort passiert, zeigt viel über uns und was Jesus für uns getan hat.

2 Glauben. Kopf hoch!

Am Abend bevor Jesus gefangen genommen wird, wendet er sich an Simon. Simon hatte sich vor Jesus geschämt und ihn weggeschickt. Aber Jesus war nicht gegangen, sondern hatte Simon berufen. An diesem Abend warnt er Simon vor: „Simon, Simon! Sieh doch: Der Satan hat sich von Gott erbeten, euch durchzusieben wie den Weizen! Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört. Wenn du dann wieder zu mir zurückgekehrt bist, sollst du deine Brüder und Schwestern stärken.“ (Lukas 22,31-32)

Das Böse hat seine Finger im Spiel. Und Simon wird fallen. Er wird Jesus verraten, der ihn doch damals in seiner Scham aufgenommen hat. Simon wird das tun, von dem er sich nicht vorstellen kann, dass er dazu in der Lage ist. Niemand ist gegen Versuchung immun. Wir werden versucht und wir fallen. Verlorene Herrlichkeit. Schande. Jesus betet nicht dafür, dass Simon stark genug ist und standhält. Jesus betet dafür, dass etwas in Simon bleibt, obwohl er fallen wird: Glaube. Das bedeutet, dass Schande und Scham auch weiterhin zu uns gehören werden.

Wir bleiben Menschen und menschlich. Entscheidend ist nicht, dass wir vollkommen und fehlerlos durch das Leben kommen. Entscheidend ist laut Jesus zu glauben. Glaube sagt nicht, dass man alles richtig gemacht hat und stark genug ist. Glaube sagt, dass Jesus vertrauenswürdig ist. Scham sagt, dass ich verachtet werde, Glaube sagt, dass ich geliebt werde. Scham sagt, dass ich mich verstecken muss. Glaube sagt, dass ich kommen darf. Scham sagt, dass ich schuldig bin. Glaube sagt, dass mir vergeben wird. Jesus betet dagegen, in der Scham zu bleiben. Es gibt kein Leben ohne Scham. Aber du kannst glauben. Du kannst den Kopf heben.

3 Stellvertretung. Kopf hoch!

Danach wendet sich Jesus an alle seine Jünger: „An mir muss in Erfüllung gehen, was in der Heiligen Schrift steht: ‘Er wurde zu den Schuldigen gezählt.’ Denn was über mich vorausgesagt ist, trifft jetzt ein. (Lukas 22,17)

Jesus ist makellos. Er ist der rettende Anker. Aber er wird nun zu den Schuldigen gezählt werden. Er ist nicht schuldig, aber er wird wie ein Schuldiger behandelt werden. Jesus erleidet ungerechtfertigt für uns Schande.

Jesaja beschreibt in einer Prophetie jemandem, der von Krankheit und Schmerzen gezeichnet ist (Jesaja 53). Die Person ist hässlich. Sie wird offensichtlich bestraft und muss sich schämen. Alle schauen von ihm weg und verachten sie. Aber dann begreift Jesaja, dass diese Person unsere Krankheit und Schmerzen trägt. Gott hat sie ihm auferlegt. Die Person hat unser Gift geschluckt. Jesus kündigt an zu den Gewalttätigen und Verbrechern gezählt zu werden, obwohl er kein Gewalttätiger und Verbrecher ist. Jesus lässt sich beschämen, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Er tut das für uns. Er schluckt unser Gift.

4 Überforderung

Jesus geht mit seinen Jüngern zu einem Garten in der Nähe von Jerusalem. Er fordert die Jünger auf: „Betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht!“ (Lukas 22,40) Sie sollen Verantwortung übernehmen. Dann reißt er sich von ihnen los. Er bittet Gott darum, falls der Vater es will, dieses Leiden nicht zuzulassen. Jesus weiß, was ihm bevorsteht. Aber er fragt noch einmal nach, ob der Vater das wirklich will. Was Jesus erleiden wird, ist nichts, was er möchte. Er tut es, weil es Gottes Plan ist. Dramatische Szenen. Ein schrecklicher Weg. Eine schwere Entscheidung. Und Jesus bleibt dabei: Er wird tun, was sein Vater will. Er vertraut seinem Vater. Auch wenn er Blut und Wasser schwitzt.

Interessant ist, was Jesus vorfindet, als er wieder zu den Jüngern zurück kehrt: Sie sind vor Trauer eingeschlafen. Die Jünger sind nicht einfach müde. Die Trauer lässt sie zusammenbrechen. Sie übernehmen keine Verantwortung. Das macht die Ungerechtigkeit mit uns: Anstatt aufzustehen und uns als erwachsene Menschen dem Problem zu stellen, schlafen wir ein. Wir flüchten uns in den Schlaf. Wir verdrängen. Wir bekommen es nicht gebacken, die Probleme zu lösen. Wir stehen mitten in einem Drama, es kommt auf uns an und wir flüchten.

Kurze Zeit später: Judas verrät Jesus. Ist er einfach böse? Oder hofft er, Jesus endlich zwingen zu können, sich auf den Thron zu setzen? Einer der Jünger versucht Jesus zu verteidigen. Er zieht mutig sein Schwert und will es mit dem bewaffneten Gegnern aufnehmen. Gewalt ist immer wieder unsere menschliche Lösung, wenn es um Schande und Scham geht. Wir wissen, dass wir mit Gewalt weder Schande noch Scham beseitigen können. Wir haben aber keine andere Möglichkeit. Können wir in Frieden leben, wenn Polizei keine Gewalt anwendet? Und haben nicht sogar Christen versucht Adolf Hitler umzubringen, weil es noch falscher zu sein schien, keine Gewalt anzuwenden. Können wir ohne Gewalt leben?

Jesus wendet keine Gewalt an. Das Ergebnis ist erschreckend. Er lässt sich schlagen und schließlich hinrichten. Er lässt sich beschämen. Die Jünger verstehen die Welt nicht mehr. Simon verleugnet Jesus zu kennen. Sie sehen entfernt zu, wie Jesus stirbt und schließen sich verzweifelt ein. Alle Ungerechtigkeit dieser Welt wird hier auf die Spitze getrieben, weil Gottes Sohn – gekommen um uns zu helfen – von uns Menschen beschämt und verurteilt wird. Jesus tut das, weil er unsere Scham trägt. Das ist Glaube: Jesus trägt meine Scham, die ich zu Recht und zu Unrecht erleide.

5 Fazit

Wir sind überfordert. Wir versuchen das Scham-Schande-Problem mit Gewalt zu lösen. Gewalt führt wieder zu Gewalt. Aber gewaltlos bekommen wir die Scham auch nicht in den Griff, weil wir zum Bösen versucht werden und schwach werden. Wir können Scham nur bis zu einer gewissen Grenze überwinden. Weil sie typisch menschlich ist, werden wir sie nicht los.

Jesus belässt uns nicht in der Scham, sondern er trägt sie für uns. Er tut nicht so, als gäbe es keine Scham. Er durchschreitet sie. Er begegnet uns in unserer Scham, um uns zu versöhnen.

Die Taufe zeigt, was passiert, wenn wir Jesus glauben: Wir werden untergetaucht. Der Mensch stirbt mit Jesus samt Scham. Dann kommt diese Person wieder aus dem Wasser. Das deutet auf das hin, was Jesus in uns tut und tun wird: Wir bekommen ein neues Leben ohne Scham.

Jesus betet, dass unser Glaube nicht aufhört, wenn wir beschämt sind. Die Scham wird Zeit unseres Lebens nicht aufhören. Er betet dafür, dass wir ihm in unserer Menschlichkeit vertrauen. Vertrauen bedeutet damit aufzuhören, uns in unserer Scham zu suhlen und den Kopf erheben und Verantwortung zu übernehmen.